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Freitag, 31. Oktober 2014

Blaue Finger






Blaue Finger
Aus der Hinterbank
erneut ein Kichern





(blue fingers / From the rear bench seat / anew a giggle)

Claudius Gottstein



(Übersetzung: Silvia Kempen)
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Herbstnachmittag


Halbschläfrig sitz ich im Lehnstuhl;
Vor der Tür auf dem Treppenstein
Schwatzen die Mädchen und schauen
In den hellen Sonnenschein.

Die Braunen, das sind meine Schwestern,
Die Blond' ist die Liebste meln.
Sie nähen und stricken und sticken,
Als sollte schon Hochzeit sein. –

Von fern das Kichern und Plaudern
Und um mich her die Ruh,
In den Lüften ein Schwirren und Summen –
Mir fallen die Augen zu.

Und als ich wieder erwache,
Ist alles still und tot,
Und durch die Fensterscheiben
Schimmert das Abendrot.

Die Mädchen sitzen wieder
Am Tisch im stummen Verein;
Und legen zur Seite die Nadeln
Vor dem blendenden Abendschein.

Theodor Storm (1817-1888)



Donnerstag, 30. Oktober 2014

autumn performance







autumn performance - 
a well-fed moon takes
the floor





(Herbstgastspiel - / Ein korpulenter Mond betritt / die Bühne)

Wolfgang Beutke



(Erstveröffentlichung: Gefährten des Mondes, Taubenschlag 15. Oktober 2009)
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Foto: © Tim Reckmann / pixelio.de




Mittwoch, 29. Oktober 2014

Herbststurm






Herbststurm – 
die Flaumfeder an der Scheibe 
fast regungslos 






(autumn storm – / almost motionless the down feather / at the window pane)

Folker Doyé (1947 - 2014)



(Übersetzung: Wolfgang Beutke) ***************************************************************



Herbststurm

Es braust der Sturm, – der Wolken dunkles Heer
Läßt rauschend seine Flut zur Erde fallen;
Die Blumen, – ach, die Blumen sind nicht mehr!
Bleich ist das Grün, und keine Lieder schallen.

O, Herbstgefühl, das schaurig mich durchbebt!
Bald schweigt das Herz, das doch so laut geschlagen;
Was heute fröhlich noch gelacht, gelebt,
Wird morgen oft schon still hinausgetragen.

Wie Grün und Blüten welkt der Mensch dahin;
Ein Kommen ist das Leben und ein Wandern.
Die Stunden eilen, – und die Jahre flieh'n –
Und keiner ist, der wüßte von dem andern.

Und keiner denket dessen mehr, der schied,
Vergessen ist er, – und verstummt die Lieder;
Der Sturmwind nur pfeift noch sein schaurig Lied,
Und auf den Hügeln weint der Regen nieder.

Johann Meyer (1829-1904)
Aus der Sammlung Hochdeutsche lyrische Gedichte


Dienstag, 28. Oktober 2014

zackig





zackig
der Paradeschritt
der Regenschirme




(smart / the goose-step / of umbrellas)

Kurt F. Svatek 




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Foto: © Ingo Döring / pixelio.de
 
 
 

Montag, 27. Oktober 2014

Supermond






Supermond
Sie bezieht ihr Bett
mit rotem Leinen





(supermoon / she puts red linnen / on her bed)

Hans-Jürgen Göhrung



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Dicker roter Mond
 
Ach, ich kann ja gar nicht schlafen!
Über dem dunkelgrünen Myrtentor
Thront ein dicker roter Mond. -
Ob es später wohl noch lohnt,
Wenn man auf dem Monde wohnt?
Über dem dunkelgrünen Myrtentor?
Wär's nicht möglich, daß uns drüben
»Längre« Seligkeiten küßten?
Wenn wir das genauer wüßten!
Hier ist alles zu schnell aus.
Jeder lebt in Saus und Braus.
Wem das schließlich nicht gefällt,
Hält die ganze große Welt
Auch bloß für ein Narrenhaus!
Ach, ich kann ja gar nicht schlafen!
Alter Mond, ich lach dich aus!
Doch du machst dir nichts daraus!
 
Paul Scheerbart (1863-1915)



Sonntag, 26. Oktober 2014

Sie wartet






Sie wartet ...
vor ihre Füße legt sich
sacht ein buntes Blatt





(She is waiting .... / a colorful leaf gently / lies down at her feet)

Angelika Knetsch



(Übersetzung: Silvia Kempen)
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Foto: © Alwin Gasser / pixelio.de





Samstag, 25. Oktober 2014

Ausklang





Ausklang -
die Erde dreht mich
in die Nacht




(conclusion - / the earth turning me / into the night) 

Friedrich Winzer



(Übersetzung: Silvia Kempen)
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Die Erde dreht sich

Lehrte man es mich auch reiflich,
Gründlich, wie das Alphabet,
Dennoch schien mir unbegreiflich
Stets, daß sich die Erde dreht.

Bis der Himmel mir bescherte,
Daß ich's endlich wissen muß,
Und der Meister, der mich's lehrte,
Nennt sich: erster Liebeskuß.

Als ich den genoß, zur Stelle
Fühlt' ich's, daß die Welt nicht steht,
Daß sie sich mit Blitzesschnelle
Rund herum im Kreise dreht.

Marie von Ernest (1858-1923)




Freitag, 24. Oktober 2014

Spaziergang im Herbst






Spaziergang im Herbst,
ein herrenloser Hund - scheu,
wir beide.




(Autumn walk, / a stray dog – shy, / both of us.)

Eva Limbach




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Foto: © Jürgen Acker / pixelio.de 




Donnerstag, 23. Oktober 2014

Fichtenwaldstille






Fichtenwaldstille
nur ein Kleiber
am rauhen Stamm






(silence in the spruce forest / only a nuthatch / on the rough trunk)

Frauke Reinhardt




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Wasserfall

Durch den dunklen Fichtenwald
Führt der Weg so grün und still,
Leise nur die Luft erschallt
Wie ein Kind; das reden will.

Dunkler wird der Waldesraum,
Aber heller wird das Licht,
Das sich drängt durch Fels und Baum,
Der mit lauten Zweigen spricht.

Da erbrausts wie Jubelschall,
Freudig stürzt vom Fels die Flut, —
Wellenglanz und Wogenschwall
Gern in Thales Armen ruht.

Hermann Rollett (1819-1904)
Aus der Sammlung II. Friedliche Stimmen




Mittwoch, 22. Oktober 2014

missed call






missed call …
she beholds the rising wind
in the pines





(Anruf in Abwesenheit … / sie beobachtet den Wind / in den Kiefern)

Ramona Linke



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Foto: © Andreas Agne / pixelio.de




Dienstag, 21. Oktober 2014

Steine im Wasser






Steine im Wasser
deine und meine Worte
überschneiden sich






(stones in water / words of yours and mine / overlapping)

Gabriele Hartmann



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Worte

Es flattern Worte hin und her,
So leicht, so leicht und doch so schwer!
Man spricht sie aus - denkt nicht daran,
Wie tief ein Wort verwunden kann.

Wie oft treibt man ein harmlos Spiel
Mit Worten ohne Zweck und Ziel;
Doch nicht ein einziges kehrt zurück,
Entflogen ist`s im Augenblick.

Schon oft nahm nur ein einz`ges Wort
Freundschaft und Liebe mit sich fort;
Drum prüfe jedes Wort - bevor
Es dringt an deines Nächsten Ohr!

Karl Friedrich Mezger (1880-1911)
Aus der Sammlung Teil - Aus Natur und Leben




Montag, 20. Oktober 2014

the volcano






the volcano
at the hiker's back
cotton candy cloud




(der Vulkan / hinter dem Bergsteiger / Zuckerwattewolke)

Simone K. Busch



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"Japan liegt an der geologischen Bruchzone vierer tektonischer Platten (die Eurasische Platte im Westen und Norden, die Nordamerikanische im Norden, die Philippinische Platte im Süden und die Pazifische Platte im Osten). Von seinen etwa 240 Vulkanen, die zum pazifischen Feuerring gehören, sind 40 aktiv." (Quelle: Wikipedia)


Das Foto zeigt den Fuji-san im Herbst, er ist mit 3.773 m der höchste aktive Vulkan in Japan.



 
 
Foto: © Simone K. Busch
 
 
 
 
 

Sonntag, 19. Oktober 2014

Abendsonne strahlt






Abendsonne strahlt
in den Indianersommer, -
und das Land leuchtet.





(Evening sun's glowing / in the Indian Summer - / and the land's glorious)

Horst Ludwig



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Indian Summer in Big Canoe, Georgia:



Foto: © Silvia Kempen




Samstag, 18. Oktober 2014

another world






another world
at the edge
a fallen apple





(eine andre welt / da ganz am rande / ein gefallner apfel)

 Heike Gewi



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Vom schlafenden Apfel

Im Baum, im grünen Bettchen,
Hoch oben sich ein Apfel wiegt,
Der hat so rothe Bäckchen,
Man sieht's, daß er im Schlafe liegt.

Ein Kind steht unter'm Baume,
Das schaut und schaut und ruft hinauf:
»Ach, Apfel, komm herunter!
Hör endlich doch mit Schlafen auf.«

Es hat ihn so gebeten,
Glaubt Ihr, er wäre aufgewacht?
Er rührt sich nicht im Bette,
Sieht aus, als ob im Schlaf er lacht.

Da kommt die liebe Sonne
Am Himmel hoch daher spaziert. -
»Ach Sonne, liebe Sonne,
Mach' du, daß sich der Apfel rührt!«

Die Sonne spricht: »Warum nicht?«
Und wirft ihm Strahlen in's Gesicht,
Küßt ihn dazu so freundlich,
Der Apfel aber rührt sich nicht.

Nu schau! Da kommt ein Vogel
Und setzt sich auf den Baum hinauf.
»Ei, Vogel, du mußt singen,
Gewiß, gewiß, das weckt ihn auf!«

Der Vogel wetzt den Schnabel,
Und singt ein Lied so wundernett.
Und singt aus voller Kehle, -
Der Apfel rührt sich nicht im Bett! - -

Und wer kam nun gegangen?
Es war der Wind! Den kenn' ich schon,
Der küßt nicht und der singt nicht,
Der pfeift aus einem andern Ton.

Er stemmt in beide Seiten
Die Arme, bläst die Backen auf
Und bläst und bläst, und richtig,
Der Apfel wacht erschrocken auf.

Und springt vom Baum herunter
Grad' in die Schürze von dem Kind,
Das hebt ihn auf und freut sich
Und ruft: »Ich danke schön, Herr Wind!«

Robert Reinick (1805-1852)
 
 
 

Freitag, 17. Oktober 2014

immerzu







immerzu
das Schwappen des Wassers
im leeren Pool





(ceaselessly / the sloshing of water / in the empty pool)

Klaus-Dieter Wirth



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Foto: © chocolat01 / pixelio.de




Donnerstag, 16. Oktober 2014

niemand schaut







niemand schaut
ein falke zieht kreise
über'm pflegeheim




(no one is looking / a hawk drawing circles / above the hospice)

Peter Wißmann



(Übersetzung: Silvia Kempen)
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Foto: © Gerrit Müllner / pixelio.de




Mittwoch, 15. Oktober 2014

goldener Herbst






goldener Herbst -
die Jagd nach dem Schatz
der Nibelungen





(Golden Autumn - / the hunt for the treasure / of the Nibelungs)
 
Cezar-Florin Ciobîcă



(Übersetzung: Silvia Kempen)
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Die Nibelungen

August 1821

Sivrit.

Sahst du die Sonn' sich auf am Himmel schwingen,
Am heitren Tag in feierlicher Gluth?
Sahst du die Quelle aus dem Felsen dringen?
Und reißend strömen die gewalt'ge Fluth?
Sahst du den Löwen aus dem Walde springen?
Du sahst Sivrit, den Degen, kühn und gut.
Des Leuen Kraft, des heitern Tages Schöne
Vereint der erste aller Heldensöhne.

Chriemhild.

Doch wie die Nachtigall im Walde flötet,
Wie Blümlein sprießen auf den grünen Auen,
Wie milder Abendschein den Himmel röthet,
So war Chriemhild, die herrliche zu schauen,
Bis Hagen ihr den holden Vriedel tödtet:
Da tobt' das Herz der tiefgereizten Frauen.
Unsel'ger Tausch! Zur Löwin wird die weiche
Und stirbt auf ihres Feindes blut'ger Teiche.

Günther.

Ein zierer König, möchte Günther üben
Gleich andern Recken kühne Ritterschaft,
Doch ist das Herz ihm, wie die Sonn' an trüben
Und kalten Wintertagen ohne Kraft.
Und hassen kann er, was er sollte lieben,
Wenn ihn der böse Rath dahingerafft:
Nur in des Kampfes drohenden Gefahren
Konnt' er der Nibelungen Ruhm bewahren.

Brunhild.

Hoch auf dem Isensteine steht Brunhild,
Kein Heldensohn noch konnte sie erringen:
Sie wirft den Stein, sie hebt den schweren Schilds
Die ungeheure Lanze kann sie schwingen.
So ist die Fraue, heldenkühn und wild,
Durch Sivrit nur kann Günther sie bezwingen
Doch als des Magdthums Blume schwindet, ach!
Wird sie ein Weib, so eitel und so schwach.

Hagen.

Ihm hangen Donnerwolken auf den Brauen
Und rothe Blitze aus den Augen fliegen,
Auf seinen bleichen Wangen wohnt das Grauen,
Herr Hagen ist's, dem Sivrit mußt' erliegen.
Seht blut'ge Gassen in den Feind ihn hauen,
Trost der Vurgunden in gewalt'gen Kriegen.
Kein Mann war noch so listig und so graß,
So grenzenlos in Treue und in Haß.

Volcher.

Wer tritt hervor in jugendlicher Schöne
Mit Schwerterklang, mit süßer Saiten Laut?
Herr Volcher ist's, und alle Heunensöhne,
Mit seinen Saiten sind sie wohl vertraut.
Hört ihr ihn fiedeln seine starken Töne
Mit blut'gen Zügen, daß es allen graut?
Hört ihr den grimmen Fiedelbogen hallen,
Daß rings herum'die stolzen Heunen fallen?

Rüdiger.

In Bechelaren wohnt ein edler Herr;
Viel fremde Recken ziehen ein und aus.
Der Vater aller Tugend, Rudeger,
Weit offen stehet sein gewalt'ges Haus.
Auch den Burgunden schenkt er stolze wehr,
Die hoben sie im unglücksel'gen Strauß:
Wohl billig mögt den Helden ihr beklagen,
Durch Freundes Hand mit eig'ner Gab' erschlagen.

Dietrich.

Mit Blute war der weite Saal begossen,
Da trat hervor der starke Dieterich.
Todt waren alle Feinde und Genossen,
Und Hagen nur und Günther hielten sich.
Mit starkem Arm hat sie der Held umschlossen;
Da rächte sich Chriemhilde fürchterlich:
Schuldlose können sterbend Ehre werben,
Wie Zünder müssen Schuldige verderben.

* * *

Noch manche and're kühne Heldengeister
Hat uns des Sängers hohes Lied genannt,
Und nur der erste aller deutschen Meister,
Der Sänger selber blieb uns unbekannt.
Doch warum fraget kindisch ihr: "Wie heißt er,
Der sang das Lied vom deutschen Vaterland?"
Schall ist sein Nam', doch was er uns gesungen,
Ist tief in jedes deutsche Herz gedrungen.

Benedikt Waldeck (1802-1870)