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Samstag, 31. Oktober 2015

dichter Nebel






dichter Nebel -
lauter als sonst
der Bach





(dense fog - / louder than usual / the stream)

Christof Blumentrath



(Übersetzung: Silvia Kempen)
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Nebel

Ein Vorhang aus Luft
und Duft
gewoben,

und wie der Wind
geschwind
zerstoben





Freitag, 30. Oktober 2015

wie der sturm heut braust





wie der sturm heut braust -
kaum noch blätter
am alten kalender*




(how the storm roars today - / hardly any pages / on the old calendar)

Isabella Kramer



*Erstveröffentlichung: http://haiku-veredit.blogspot.de/, Dezember 2012
(Übersetzung: Silvia Kempen)
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Foto: © Janusz Klosowski / pixelio.de




Donnerstag, 29. Oktober 2015

scharrende Füße






scharrende Füße
das Rascheln des Herbstlaubs
verjüngt sich




(shuffling feet / the rustle of autumn leaves / rejuvenates)

Klaus-Dieter Wirth



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Ist es Herbstlaub? Sind es Ratten?

Ist es Herbstlaub? Sind es Ratten?
was dort rauscht und huscht im Schatten?
Sind's gestürzte Fledermäuse?

Sind's gespenstische Gedanken,
die vom Baum des Lebens schwanken?
Oder spieen Grabgehäuse
ihren Spuk durch Kirchhofsplanken?

Christian Morgenstern (1871-1914)
Aus der Sammlung Ritornelle



Mittwoch, 28. Oktober 2015

zurück vom Kodokan






zurück vom Kodokan
Schritt für Schritt 
den sanften Weg gehen




(back from Kodokan / step by step / going the gentle way)

Friedrich Kelben



In memoriam Jigoro Kano (28.10.1860 – 4.5.1938) zum 155. Geburtstag
(Übersetzung: Silvia Kempen)
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Hinweis:

Judo wird auch mit „sanfter Weg“ übersetzt. Jigoro Kano war der Begründer der japanischen Sportart Judo und des Kodokan (Ort zum Üben des Weges; Judo-Schule).

wikipedia: Zwei philosophische Grundprinzipien liegen dem Judo im Wesentlichen zugrunde. Zum einen das gegenseitige Helfen und Verstehen zum beiderseitigen Fortschritt und Wohlergehen (jita kyōei, 自他共栄) und zum anderen der bestmögliche Einsatz von Körper und Geist (seiryoku zenyō, 精力善用). Ziel ist es, diese Prinzipien als eine Haltung in sich zu tragen …. Ein Judo-Meister hört demnach im Idealfall niemals auf, Judo zu praktizieren, auch wenn er nicht im Dōjō (Trainingshalle) ist.

Die Judo-Werte des Deutschen Judo-Bundes: (http://www.judobund.de/jugend/training-wettkampf/judowerte/)

1. Höflichkeit
2. Hilfsbereitschaft
3. Ernsthaftigkeit
4. Ehrlichkeit
5. Respekt
6. Bescheidenheit
7. Wertschätzung
8. Selbstbeherrschung
9. Mut
10. Freundschaft





Dienstag, 27. Oktober 2015

kälteeinbruch





kälteeinbruch
die spinne jagdfiebrig
im eck





(cold snap / the spider in the corner / feverish of chase)

Sylvia Bacher




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Foto: © Marvin Siefke / pixelio.de




Montag, 26. Oktober 2015

Gebietsweise Nebel





"Gebietsweise Nebel" -
aus fremden Fenstern
scheint Geborgenheit*





("Locally fog" - / out of other windows / shines security)

Eva Limbach



*haiku-like: 27.11.13 prompt: Herbstnebel
(Übersetzung: Silvia Kempen)
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Nebel

Der blasse Nebel schreitet
Gespenstisch durch die Flur,
Und hüllt in seine Schatten
Die schlummernde Natur.

Er streckt die Riesenarme
Hin über's weite Land,
Und fährt mit kaltem Finger
Mir über Stirn und Hand.

Und Wiesen, Wälder, Höhen
Und Thäler rings umher
Verschwinden und versinken
Im weiten Nebelmeer.

Der böse Gast verschleiert
Mir gar der Sterne Acht;
Und selbst aus Liebchens Fenster
Kein Strahl die Nacht durchbricht.

Doch mag er weiter brauen,
Ich kenne das Revier;
Trotz Nebel, Nacht und Grauen
Find' ich den Weg zu Dir!

August Freudenthal (1851-1898)
Aus der Sammlung Lyrisches. Teil I



Sonntag, 25. Oktober 2015

Abschied






Abschied 
in leeren Augen 
die Endlichkeit





(Farewell / in empty eyes / finitude)

Friedrich Winzer



(Übersetzung: Beate Conrad)
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Foto: © Melling Rondell / pixelio.de
 
 
 

Samstag, 24. Oktober 2015

und wieder





und wieder das gekreische der krähen
während die blätter
fallen*





(and again the squaking of the crows / while the leaves / are falling)

Viktoria Zellner



(Übersetzung: Silvia Kempen)
*haiku-like: 18.11.14 prompt: Laub
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Herbst

Die Blätter fallen, fallen wie von weit,
als welkten in den Himmeln ferne Gärten;
sie fallen mit verneinender Gebärde.

Und in den Nächten fällt die schwere Erde
aus allen Sternen in die Einsamkeit.

Wir alle fallen. Diese Hand da fällt.
Und sieh dir andre an: Es ist in allen.

Und doch ist einer, welcher dieses Fallen
unendlich sanft in seinen Händen hält.

Rainer Maria Rilke (1875-1926)
Aus der Sammlung Des ersten Buches zweiter Teil





Freitag, 23. Oktober 2015

durchsonnter Nebel






durchsonnter Nebel - 
das Haus des Nachbarn 
wie in Milch gemalt




(sun-soaked fog - / the neighbour’s house / as if painted in milk)
Angelica Seithe




(Erstveröffentlichung: Chrysanthemum 12)
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Foto: © Nazariy Kryvosheyev / pixelio.de




Donnerstag, 22. Oktober 2015

geschwärzte erde





geschwärzte erde
auf den abendfeldern
rasten krähen





(blackened earth / on the evening fields / crows have a rest)

Birgit Schaldach-Helmlechner


 
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Die Erde im Herbst.


Legt nur den Purpurmantel um die Glieder
Und schmückt zum Feste mich ein letztes Mal!
Wirf, Azur, mir den Silberschleier nieder.
Umhülle mich, du warmer Sonnenstrahl!
Wollt, gold'ne Lüfte, zitternd mich umspielen
Von sammtner Heide bis zum Firnenschnee:
Ich will wie eine Königsbraut mich fühlen,
Eh' still ich schlafen geh.

Legt mir das Weinlaub um die duft'gen Locken,
Reicht mit Gesängen mir den Goldpokal,
Und lasset froh die hellen Kirchenglocken
Rings laden zu des Jahres üpp'gem Mahl!
Laßt unter Lachen voll die Becher schäumen,
Und Jubel ziehen über Land und See,
Daß Wonne woge über meinen Träumen,
Wenn still ich schlafen geh.

Die bunten Blätter streuet nur zu Füßen,
Und malt der Pfirsich' Wange rot wie Blut;
Wollt, Lenzenstage, mich noch einmal grüßen
Und wecken mir die lang vergess'ne Glut!
Dicht an des Sommers Brust will ich mich betten
In Liebeslust und heißem Scheidensweh;
Und will umwunden sein von Rosenketten,
Wenn jetzt ich schlafen geh

Marie Itzerott (1857 - ?)
Aus der Sammlung Naturgenuß 




Mittwoch, 21. Oktober 2015

Planetenbahnen





Planetenbahnen 
über die Tischkante rollt
rollt ein Apfel




(orbits of planets / over the table edge rolling / rolling an apple)

Gabriele Hartmann




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Wer da steuert irdische Bahnen

Wer da steuert irdische Bahnen,
Lernt der Zeit Vergänglichkeit,
Doch als Kompaß weist ein Ahnen
Uns nach ferner Ewigkeit!

Joseph Victor von Scheffel (1826-!886)
Aus der Sammlung Gedenksprüche





Dienstag, 20. Oktober 2015

in den Wollschal





in den Wollschal
einweben
Ahornrot und Birkengold





(in the woolen scarf / weave in / maple red and birch gold)

Ruth Karoline Mieger



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Beide Fotos: © Ruth Karoline Mieger



Montag, 19. Oktober 2015

Die Zeit herbstet






Die Zeit herbstet.
Im Zimmer husten
Erinnerungen.*





(The time is autumn. / Coughing in the room / Memories.)

Dietmar Tauchner




*(Erstveröffentlichung haiku-like, 12. September 2013)
(Übersetzung: Silvia Kempen)
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Neuzeit

Die Zeit schreitet langsam voran
Stunden klimpern am Handgelenk
Minuten, Sekunden tanzen vorbei

Tage weben an ihrem Patchworkkleid
Monate haben sich um den Hals gelegt
die langen Haare von Jahren zerzaust
haben Jahrzehnte ihre Gestalt gebeugt


Doch manchmal dreht sie sich um
ihre klugen Augen suchen dich
und dann wartet Sie tatsächlich
auf DICH …





*Geboren 1960 in NRW, erkrankte 1990 an MS, schreibt seit über 10 Jahren u.a. ihre eigenen Wünsche nicht mehr in den Wind und hat so eine neue Sprache gefunden.

Sonntag, 18. Oktober 2015

geschminkte Augen






geschminkte Augen ...
atemlos
hinter der Burka*




(made-up eyes ... / breathless / behind the burka)

Claudia Brefeld 



*(Erstveröffentlichung: Haiku heute, April 2015)
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Foto: © Rike / pixelio.de




Samstag, 17. Oktober 2015

rilkezeit






rilkezeit
vor dem dachfenster schießt
letzte sonne in wein




(rilke time / in front of the roof-light bolts / last sun in the vine)

Peter Wißmann



(Übersetzung: Silvia Kempen)
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Das XXIX. Sonett

Stiller Freund der vielen Fernen, fühle,
wie dein Atem noch den Raum vermehrt.
Im Gebälk der finstern Glockenstühle
lass dich läuten. Das, was an dir zehrt,

wird ein Starkes über dieser Nahrung.
Geh in der Verwandlung aus und ein.
Was ist deine leidendste Erfahrung?
Ist dir Trinken bitter, werde Wein.

Sei in dieser Nacht aus Übermaß
Zauberkraft am Kreuzweg deiner Sinne,
ihrer seltsamen Begegnung Sinn.

Und wenn dich das Irdische vergaß,
zu der stillen Erde sag: Ich rinne.
Zu dem raschen Wasser sprich: Ich bin.

Rainer Maria Rilke (1875-1926)
Aus der Sammlung Zweiter Teil