Mittwoch, 30. April 2014

Autobahn





Autobahn -
den Nebel durchleuchtet
ein Rapsfeld




 (highway - / rays through the fog / a rape field)

Silvia Kempen


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Symphonie in Gelb


Über die Brücke kriecht ein Omnibus
Wie ein gelber Schmetterling,
Und hier und dort geht ein Passant,
Wie eine kleine ruhelose Mücke.

Große Kähne, voll mit gelbem Heu,
Sind am schattigen Kai vertäut,
Und wie ein gelber Seidenschal
Hängt der dichte Nebel vor dem Uferdamm.

Die gelben Blätter beginnen zu verblassen
Und taumeln von den Temple* Ulmen,
Und die blassgrüne Themse zu meinen Füßen
Liegt wie ein Zepter aus welliger Jade.


Oscar Wilde (1854 - 1900)

* Stadtbezirk in London, zwischen Fleet Street und der Themse gelegen.




Dienstag, 29. April 2014

Einflugschneise



Einflugschneise
in den Pausen
Vogelgezwitscher​





(entry lane / in the rests / birds' twittering)

Peter Wißmann
 
 
 
(Übersetzung: Silvia Kempen)
(Erstveröffentlichung: Anthologie 2013 der Deutschen Haiku-Gesellschaft)
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Der Vogelgesang als Lehrstunde

Die Klangwelt der Vögel kennt viele Tricks und Details, die uns aus der Menschenmusik geläufig sind. Sie kennt Phrasen und Takte, Vorschlag und Triller, Accelerando und Crescendo, Fugato und Duett. Die Ornithologen beschreiben Strophenformen im Lied der Vögel und diskutieren ihre Fähigkeit zu transponieren und motivisch zu entwickeln. In vielen alten Mythen sind es die Vögel, die den Menschen die Musik beibringen. Nach anderen Legenden sind die Vögel verwandelte Menschenseelen, die einander in traurigen Liedern ihr Leid klagen. Komponisten haben schon immer die Rufe der Vögel in ihre Musik integriert. Man denke an die Nachtigallen und Drosseln in Rameaus und Couperins Stücken für Clavecin, an die Kuckucksrufe und Amselarien und all die vogelliedbelebten Frühlings- und Morgenszenen der klassischen Musik von di Lasso, Händel und Vivaldi über Haydn, Beethoven und Berlioz bis hin zu Wagner, Debussy und Ravel.
...

aus: 

Vögel im Klavier 
Olivier Messiaen und die Ästhetik der geflügelten Sänger
(2002)

Von Hans-Jürgen Schaal





Montag, 28. April 2014

Schmetterlinge





Schmetterlinge
jetzt denkt an mich
mein Geliebter





(butterflies / just now thinking of me / my lover)

Gabriele Hartmann




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Foto: © Gabriele Hartmann 



 

Sonntag, 27. April 2014

Das ist nicht erlaubt






"Das ist nicht erlaubt",
sagte er und pflückte mir
einen Blütenzweig!*





("This is not allowed", / he said and picked me / a branch of blossoms!)**


Frau Sumi Taigi (1709 - 1772)




*(aus: Vollmond und Zikadenklänge, Sigbert Mohn Verlag - Übersetzung aus dem Japanischen von Gerolf Goudenhove)
**(Übersetzung in Englisch: Silvia Kempen)

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PFLAUMENBLÜTE

Chinas Volk verehrt die Pflaumenblüte,
Denn es gleicht dies Volk der Pflaumenblüte.

Stürmt der Winter noch mit Schnee und Eis,
Sie erblüht am Aste rosig-weiß.

Stürmt der Winter noch auf allen Wegen,
Unerschrocken blüht sie ihm entgegen.

Ihre zarten Blätter, mutberauscht,
Tanzen leis, wenn sie dem Winde lauscht.

Denn es ist ihr Glück, im Sturmeswehen
Einem Mächtigen zu widerstehen.

Sieben Märchen aus des Volkes Gut
Preisen ihren stillen Blumenmut.

Und sie lehren weise alle sieben
Eisern kämpfen und behutsam lieben.

Und sie lehren nach Chinesenart,
Daß die Zarten stark, die Starken zart.

Ist die Erde überbraust von Schrecken,
Daß die Blumen ängstlich sich verstecken,

Dann erblüht ihr machtvoll stilles Licht,
Gibt der Welt von neuem Zuversicht.

Samstag, 26. April 2014

Straßenkreide





Straßenkreide.
Ins gemalte Segelboot
wehen Blüten.




(Road chalk. / In the painted sailboat / blossoms blow.)


Volker Friebel




(Übersetzung: Silvia Kempen)

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Foto: © siepmannH / pixelio.de








Freitag, 25. April 2014

Auf dem Flohmarkt





Auf dem Flohmarkt –
ein Kochrezept entdeckt
in Goethes Werken




(At the flea market - / discovered a recipe / in Goethe's works)

Franz Kratochwil




(Erstveröffentlichung: Haiku heute, Oktober 2008)
(Übersetzung: Silvia Kempen)

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April

Augen, sagt mir, sagt, was sagt ihr?
Denn ihr fragt was gar zu Schönes?
Gar des lieblichsten Getönes;
Und in gleichem Sinne fragt ihr.

Doch ich glaub′ euch zu erfassen:
Hinter dieser Augen Klarheit
Ruht ein Herz in Lieb′ und Wahrheit,
Jetzt sich selber überlassen,

Dem es wohl behagen müßte,
Unter so viel stumpfen, blinden,
Endlich einen Blick zu finden,
Der es auch zu schätzen wüßte.

Und indem ich diese Chiffern
Mich versenke zu studieren,
Laßt euch ebenfalls verführen,
Meine Blicke zu entziffern!

Johann Wolfgang von Goethe (1749 - 1832)

Donnerstag, 24. April 2014

mit dem aprilsturm





mit dem aprilsturm
weiße flocken - und 
die kirsche blüht




(with the storm / in april white flakes – and / cherries in bloom)

Sylvia Bacher 



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Die achtfach gefüllten Kirschblüten
aus der früheren Hauptstadt Nara –

blüh’n sie nicht herrlich jetzt neunfach hier,
im kaiserlichen Palast?





Mittwoch, 23. April 2014

Mitten im Fluss in





Mitten im Fluss in 
wildem Regengeprassel 
der Fliegenfischer




(in the patter of rain / in the river's midst / a fly fisherman)

Traude Veran



(Übersetzung: Heike Gewi)

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Fliegenfischen 

ist eine Angelmethode, bei der ausschließlich künstliche Köder verwendet werden. Der Name kommt von den Ködern, den sogenannten „Fliegen“, die oft vom Fliegenfischer selbst hergestellt werden, wobei diese natürlich an den Gewässern vorkommenden Larven oder Insekten nachempfunden werden.




Dienstag, 22. April 2014

Schattenlinien





Schattenlinien ...
die kreisende Stille der
Rosenkränze





(Shadow lines ... / the circling silence of / rosaries) 
Wolfgang Beutke




(Erstveröffentlichung: SOMMERGRAS Nr. 82, September 2008)
(Übersetzung: Silvia Kempen)

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Bild: © Rike / pixelio.de




Montag, 21. April 2014

Gleitende Wasser





Gleitende Wasser
durch geglättetes Gestein.
Osterwanderung.





(Gliding waters / across smoothed rocks. /  Easter walk.)


Horst Ludwig 




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aus: Faust I, Vor dem Tor

"OSTERSPAZIERGANG"


Vom Eise befreit sind Strom und Bäche
Durch des Frühlings holden, belebenden Blick;
Im Tale grünet Hoffnungsglück;
Der alte Winter, in seiner Schwäche,
Zog sich in raue Berge zurück.
Von dorther sendet er, fliehend, nur
Ohnmächtige Schauer körnigen Eises
In Streifen über die grünende Flur;
Aber die Sonne duldet kein Weißes,
Überall regt sich Bildung und Streben,
Alles will sie mit Farben beleben;
Doch an Blumen fehlt's im Revier,
Sie nimmt geputzte Menschen dafür.
Kehre dich um, von diesen Höhen
Nach der Stadt zurückzusehen.
Aus dem hohlen, finstern Tor
Dringt ein buntes Gewimmel hervor.
Jeder sonnt sich heute so gern.
Sie feiern die Auferstehung des Herrn,
Denn sie sind selber auferstanden,
Aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern,
Aus Handwerks- und Gewerbesbanden,
Aus dem Druck von Giebeln und Dächern,
Aus der Straßen quetschender Enge,
Aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht
Sind sie alle ans Licht gebracht.
Sieh nur, sieh! wie behänd sich die Menge
Durch die Gärten und Felder zerschlägt,
Wie der Fluss in Breit' und Länge
So manchen lustigen Nachen bewegt,
Und bis zum Sinken überladen
Entfernt sich dieser letzte Kahn.
Selbst von des Berges fernen Pfaden
Blinken uns farbige Kleider an.
Ich höre schon des Dorfs Getümmel;
Hier ist des Volkes wahrer Himmel,
Zufrieden jauchzet groß und klein:
Hier bin ich Mensch, hier darf ich's sein!

Sonntag, 20. April 2014

zur Auferstehung





zur Auferstehung -
auf unseren Schatten
Kerzenwachs





(Resurrection - / on our shadow / candle wax)

Cezar-Florin Ciobîcă
 
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Fenstermotiv aus dem Kaiserdom Königslutter 





Foto: © Dieter Schütz / pixelio.de 




Samstag, 19. April 2014

In der Osternacht





In der Osternacht
zwei junge Männer in Weiß:
"Wir widersagen ..."





(In the Easter Vigil / two young men in white: /  "We renounce ...")


Hans Lesener (1936 - 2012)




(Übersetzung: Silvia Kempen)

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Lied für die Nacht

Dies ist die Nacht,
von der geschrieben steht:
“Die Nacht wird hell wie der Tag.”
Der Glanz dieser Nacht nimmt den Frevel hinweg, reinigt von Schuld,
gibt den Sündern die Unschuld,
den Trauernden Freude.
Weit vertreibt sie den Hass,
sie einigt die Herzen
und beugt die Gewalten,
o wahrhaft selige Nacht.
Die Himmel und Erde versöhnt,
die Gott und den Menschen verbindet.

Amen

© Unbekannter Verfasser



Freitag, 18. April 2014

Trompetensolo





Trompetensolo -
im Domgewölbe
zittern die Himmel *






(trumpet solo - / in the cathedral vault / trembling skies)


Ilse Jacobson



(Übersetzung: Silvia Kempen) 
* (Erstveröffentlichung: Haiku heute Jahrbuch 2011)

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Fenstermotiv aus dem Kaiserdom Königslutter




Foto: © Dieter Schütz / pixelio.de




Donnerstag, 17. April 2014

Karwochenbeginn





 Karwochenbeginn.
In Raureif dick eingehüllt
der alte Engel.




(The old angel / covered in thick white frost. / Holy week begins.)

Beate Conrad




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Die Karwoche,

auch als Heilige oder Große Woche bezeichnet. Sie beginnt mit dem Palmsonntag, dem Sonntag vor Ostern. In ihr denken die Christen an die so genannte Passion, den Leidensweg Jesu bis zu seinem Tod.
-          Am Palmsonntag zog Jesus in Jerusalem ein,
-          Montag fand die Tempelreinigung statt („…Und Jesus ging in den Tempel und fing an auszutreiben die Verkäufer und Käufer im Tempel; und die Tische der Geldwechsler und die Stände der Taubenhändler stieß er um …“),
-          Dienstag lehrte Jesus im Tempel: „… Und er fing an, zu ihnen in Gleichnissen zu reden …“,
-          Mittwoch: Salbung in Betanien und Judas plante seinen Verrat an Jesus.
-          Am Gründonnerstag hielt Jesus das letzte Abendmahl mit seinen 12 Aposteln ab. Nach dem Verrat Judas durch einen Kuss wurde Jesus verhaftet.
-          Am Karfreitag fällte Pilatus Jesus Todesurteil. Jesus wurde nach Golgota gebracht und gekreuzigt. Nach seinem Tod wurde der Leichnam vom Kreuz abgenommen und im Grab des Josef von Arimathäa, eines reichen Juden, beigesetzt.
-          Karsamstag , der Tag der Grabesruhe, ein Tag zum Innehalten.
-          Ostersonntag, der Tag der Auferstehung („… Aber am ersten Tag der Woche sehr früh kamen sie zum Grab und trugen bei sich die wohlriechenden Öle, die sie bereitet hatten. Sie fanden aber den Stein weggewälzt von dem Grab und gingen hinein und fanden den Leib des Herrn Jesus nicht. …“)
-          Mit dem Ostersonntag beginnt die österliche Freudenzeit („Osterzeit“), die fünfzig Tage bis einschließlich Pfingsten dauert.




Mittwoch, 16. April 2014

Am Gipfelkreuz





Am Gipfelkreuz -
zum Anlehnen
nur der Himmel *


 

(At the summit cross - / to lean on / only the sky)

Ilse Jacobson 


 

(Übersetzung: Silvia Kempen)
* (Erstveröffentlichung: Haiku heute Jahrbuch 2007)

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Foto: © Silvia Kempen





Dienstag, 15. April 2014

Farewell wind






Farewell wind ...
beyond the basket willows
the moon





(Abschiedswind … / über den Bachweiden / der Mond)


Ramona Linke



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Die Weiden

Still ein See. Und rings in tiefen Träumen
Eine Wacht von jungen Weidenbäumen.

"Wachset," ruft der Wind, "ihr jungen Recken,
Wär' ich jung wie ihr, ich würd' mich strecken!"

Höhnt der Sturm: "Ich wach', ihr Kümmerlinge,
Daß kein Baum bis in den Himmel dringe.

Wachst nur, wachst! Laßt junge Zweige treiben!
Werdet immer - kleine Weiden bleiben!"

Und die Weiden wuchsen, still bescheiden,
Und sie wurden mählich alte Weiden .....

Aber eine war, die sich empörte,
Da sie rauh des Sturmes Höhnen hörte.

Und sie bebte in geheimem Sehnen,
Bis zum Himmel ihren Stamm zu dehnen.

Aber ach, was auch die Jahre gingen,
Glückt' ihr's nicht, sich in die Höh' zu bringen.

Traurig war sie, ihre Äste reckend
Und sie weit bis übers Wasser streckend.

Da geschah es, daß sie in dem blauen,
Dunklen See den Himmel konnt' erschauen.

Und sie rief: "Ich brauch' zu meinem Glücke
Nichts, als daß ich mich hernieder bücke!"

Und sie beugte sich und jauchzt: "Ihr Brüder,
Seht, ich wachse in den Himmel nieder!"

Hugo Salus (1866 - 1929)