Samstag, 30. April 2016

Kirschblüte





Kirschblüte
ein Wintertag
im April




(cherry blossom season / one winter day / in April)

Silvia Kempen



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Foto: © Daniel Brand / pixelio.de



Freitag, 29. April 2016

Aprilwetter

 

Aprilwetter
zwei Kaffeetassen sammeln
Regentropfen*





(April weather / two coffee cups collecting / raindrops)


Elisabeth Weber-Strobel




*(Erstveröffentlichung: Haikukalender 2015, Hamburger Haikuverlag)
(Übersetzung: Silvia Kempen)
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Aprilwetter

Sprühregen, drein die Sonne scheint,
Jetzt da und jetzt auch schon vorüber,
So kurz, wie wach der Säugling weint,
Er wendet sich und schlummert lieber.

Sprühregen! Jetzt der Himmel blau,
Und jetzt von Wolken überzogen,
Nun lachend über allem Grau
Im Wunderschein der Regenbogen.

Martin Greif (Friedrich Hermann Frey) (1839-1911)



Donnerstag, 28. April 2016

der Stille zugewandt








der stille zugewandt / die choreographie / eines finkenschwarms*


(facing silence / the choreography / of a finch flock)


Haiga von Helga Stania ©



*(Erstveröffentlichung: Haiku heute, Ausgabe November 2012)
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Fink und Frosch

Im Apfelbaume pfeift der Fink
Sein: pinkepink!
Ein Laubfrosch klettert mühsam nach
Bis auf des Baumes Blätterdach
Und bläht sich auf und quackt: »Ja ja!
Herr Nachbar, ick bin och noch da!«

Und wie der Vogel frisch und süß
Sein Frühlingslied erklingen ließ,
Gleich muß der Frosch in rauhen Tönen
Den Schusterbaß dazwischen dröhnen.

»Juchheija heija!« spricht der Fink.
»Fort flieg ich flink!«
Und schwingt sich in die Lüfte hoch.

»Wat!« ruft der Frosch, »Dat kann ick och!«
Macht einen ungeschickten Satz,
Fällt auf den harten Gartenplatz,
Ist platt, wie man die Kuchen backt,
Und hat für ewig ausgequackt.

Wenn einer, der mit Mühe kaum
Geklettert ist auf einen Baum,
Schon meint, daß er ein Vogel wär,
So irrt sich der. 
Wilhelm Busch (1832-1908)



Mittwoch, 27. April 2016

frühling





frühling
der himmel
wieder geöffnet




(springtime / the sky / opened again)

René Possél




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XII. Wie wenn nach Wintertagen der Frühlingshimmel blaut

Wie wenn nach Wintertagen der Frühlingshimmel blaut
Und plötzlich auf den Bergen die eis’ge Kuppe taut,
Wie’s tropft und quillt und rieselt und stark und stärker fließt,
Bis sich’s in mächt’gen Fluten hinab in’s Tal ergießt:

So bricht’s lebending heute aus jedem Felsentor
In tausend muntern Bächen im Sonnenschein hervor,
So wälzt sich’s voll und voller rings von der Berge Rand,
Zuletzt in Riesenströmen hinab in’s Böhmerland.

Es klirrt und saust und rasselt wie Lenzsturm durch den Raum;
Die greisen Bergeshäupter, sie wachen auf dem Traum;
Die Wasser sehn sie schwellen, da packt sie Schrecken an:
Hilf Himmel! Jeder Tropfen – ist ein bewehrter Mann!

Das silberhelle Blitzen – vom Glanz der Schwerter war!
Rings jedes flinke Bächlein – ist eine Kriegerschar!
Und jeder Strom im Tale – ein kampfgerüstet Heer!
So weit die Blicke reichen: -- Ein einzig Waffenmeer!

Das wogt und drängt und wirbelt durch Fels und Wald und Flur,
Als hätt‘ es tausend Ziele – und ha doch Eines nur!
Beseelt von Einem Geiste, durch Einen Wink gebannt –
Uns dünkt, dies Volk von Kriegers es wär‘ uns längst bekannt.

Fürwahr, schon einmal weckte uns dieser Waffen Klang,
Dies sturmwindgleiche Schreiten und dieser Schlachtensang!
Stieg auch ein voll Jahrhundert seitdem zum Schattenreich,
Uns dünkt, es sind die Söhne den Heldenvätern gleich.

Wacht auf! Wacht auf! Ihr Schläfer im weiten Böhmerland!
Ein Wetter vom Gebirge ward furchtbar euch gesandt!
Zu spät! – Die stärksten Dämme sind spurlos fortgeschwemmt:
Kein Gott, der solche Ströme des Völkerfrühlings hemmt!

Ernst Scherenberg (1839-1905)




Dienstag, 26. April 2016

knospender Kirschbaum



 
 
knospender Kirschbaum –
an seinen Ästen legen
weiße Wolken an*




(budding cherry tree – / at its branches white clouds / are mooring) 

Angelica Seithe 


 
*(Erstveröffentlichung: Haiku heute, Ausgabe Mai 2012)
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Foto: © angieconscious / pixelio.de
 
 
 

Montag, 25. April 2016

In alten Schriften





In alten Schriften
schöne Bilder. Am Fenster
Frühlingssonnenschein.





(In old manuscripts beautiful pictures. At the window spring sunshine)

Horst Ludwig




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Am Fenster

Unter weitem Strohhutschutz
Und in leichtem Frühlingskleide
Gießen meine Jüngsten beide,
Strengem Sonnenstrahl zum Trutz,
Mit den lieben, runden Händchen
Drunten ihre Blumenländchen.

Von euch Kindern angeregt,
Wünsch‘ ich, dass von höhern Händen,
Die sich gütig zu euch wenden,
Ihr auch werdet so gepflegt,
Wie, gepflegt durch euer Streben,
Sich erhält dies Blumenleben.

Karl Mayer (1786-1870)
Aus der Sammlung 1849.



Sonntag, 24. April 2016

die frau mit dem hut






die frau mit dem hut 
ein farbtupfer mehr 
in der frühlingswiese




(the woman with the hat / a color more / in the spring meadow)

Peter Wißmann



(Übersetzung: Silvia Kempen)
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Foto: © neurolle - Rolf / pixelio.de




Samstag, 23. April 2016

Jobcenter





Jobcenter
eine Nummer tritt ein




(Job center / a number enters)

Friedrich Winzer



(Übersetzung: Beate Conrad)
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Zahl


Nun Einmal Eins ist Eins. Mensch, lerne, was es sei.
Im Wesen hast du Eins, im Ausspruch ihrer Drei.


Czepko Daniel von Reigersfeld (1605-1660)

Freitag, 22. April 2016

Apfelblüte





Apfelblüte.
Der Junge spielt Tennis
gegen die Hauswand.





(Apple blossom. / The boy playing tennis / against the house wall.)

Volker Friebel



(Übersetzung: Silvia Kempen)
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Apfelblüte

Nach oben in den blauen Himmel
Ragt deiner Blüten froh Gewimmel,
Nach unten in das Wiesengras.
O Apfelbaum, ich frage, was
Wohl lachender verschönert werde,
Die blaue Luft, die grüne Erde,
Wenn du mit deinem Rosaschein
In ihre Farben blühst hinein?

Karl Mayer (1786-1870)
Aus der Sammlung Frühlingsblätter




Donnerstag, 21. April 2016

als ob du noch hier wärst





als ob du noch hier wärst
mit neuen trieben
das tränende herz




(as if you were still here / with new shoots / the bleeding-heart)

Birgit Schaldach-Helmlechner




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Foto: © luise / pixelio.de




Mittwoch, 20. April 2016

Single Chat





Single Chat –
auch das Nachtigallmännchen
schlaflos




(single chat - / also the male nightingale / sleepless)

Eléonore Nickolay



(Übersetzung: Silvia Kempen)
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Nachtigall

Nach den schönen Frühlingstagen,
Wenn die blauen Lüfte wehen,
Wünsche mit dem Flügel schlagen
Und im Grünen Amor zielt,
Bleibt ein Jauchzen auf den Höhen;
Und ein Wetterleuchten spielt
Aus der Ferne durch die Bäume
Wunderbar die ganze Nacht,
Daß die Nachtigall erwacht
Von den irren Widerscheinen,
Und durch alle sel'ge Gründe
In der Einsamkeit verkünde,
Was sie alle, alle meinen:
Dieses Rauschen in den Bäumen
Und der Mensch in dunkeln Träumen.

Joseph Freiherr von Eichendorff (1788-1857)
Aus der Sammlung Frühling und Liebe



Dienstag, 19. April 2016

wood anemone





wood anemone
only the hare
and I*





(Buschwindröschen / nur der Hase / und ich)

Martina Heinisch


 
*(Erstveröffentlichung: the Heron´s Nest, März 2008
(Übersetzung: Silvia Kempen)
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Foto: © Martina Heinisch



Montag, 18. April 2016

Neue Gäste





Neue Gäste
über dem See kreist
eine Gänseschar






(New guests / circling above the lake / a gaggle of geese)

Birgit Heid




(Übersetzung: Silvia Kempen) 
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Die drei Gänse


Eine Fabel.

Es flogen drei Gänse wohl über's Meer,
Die Alte mit ihren Jungen.
Sie kamen ferne von Welschland her,
Es gefiel ihnen nicht in der Heimath mehr,
Wo sie früher getanzt und gesprungen.
Ihnen stand viel höher der stolze Sinn:
Was brachten so täppische Ritter,
Ihr Liebegeschnarr und Geflitter
Solch' hohen Damen wohl für Gewinn?

Hin über die mittelländische See,
Zu des Atlas Palmengeländen,
Zu König Gänserichs hohem Pallast
Gieng ihre Reise mit Sturmeshast
Hier thät ihr Flug sich enden.
Sie kamen bei Herrn von Griesemann,
Ihrem edlen lieben Verwandten,
An den sie Botschaft sandten,
Des Königs Pfortenhüter an.

O lieber Vetter, so klagten sie leis',
Wir können daheim nicht dauern.
Uns ward fürwahr die Stelle schon heiß,
Wir kehren nicht heim in den täppischen Kreis,
Es faßt uns Schrecken und Schauern.
Drum bitten wir Sie, Vetter Griesemann,
Sie sind in den Hofregionen
Ein Mann von Connexionen,
Bringen Sie uns in Königshallen an.

Ich möcht' — sprach die Alte — mein edler Cousin,
Die Charge Hofmeisterin wählen,
Und meine Blondchen aimable und fin,
Die möchten sich gern, mein goldner Cousin,
An Herren vom Hofe vermählen,
Und gieng' auch letzteres gleich nicht an,
So würd' es doch immer geschehen,
Sie als Hofdamen zu sehen,
Das Uebrige fände sich alsdann.

Nicht lange, sie standen im Königssaal
Und schwammen in lauter Entzücken:
O ihr armen Ritter in Welschland all,
O könntet ihr nur ein einzig Mal
Uns hier im Glanz erblicken!
Bald werd' ich Oberhofmeisterin sein,
Und meine Blondchen daneben
An Grafenarmen schweben,
O für euch Armen, welche Pein! —

Allein — man weiß nicht, wie es gieng,
Es wollt' so schnell nicht glücken,
Sie konnten sich nicht in Afrika's Duft,
Nicht in des Königshofes Luft
Mit allem Fleiß recht schicken.
Sie blieben aus schon lange Zeit,
Man hatte daheim sich gefunden,
Fieng an von der Qual zu gesunden,
Da kam auf einmal große Freud'.

Die Alte mit ihren Blondchen schön,
Sie kamen dahergeflogen.
Sie sagten: zu Hause wär's doch gar schön,
Sie wollten auch nie an den Hof mehr gehn,
So weit über Meereswogen.
Da war große Freude weit und breit,
Bald gieng es nach alter Weise,
Im frühern gewohnten Geleise
Und geht so fort vielleicht noch heut.

Heinrich Beitzke (1798-1867)
Aus der Sammlung Vermischte Gedichte

Sonntag, 17. April 2016

verlassener Garten





verlassener Garten
die Pfade voller
Vergissmeinnicht




(abandoned garden / the paths full of / forget-me-nots)

Ruth Karoline Mieger



(Übersetzung: Silvia Kempen)
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Foto: © Ruth Karoline Mieger



Samstag, 16. April 2016

Half-finished heaven





Half-finished heaven
all the weight of the white birch
in the spring breeze*




(Halbfertig der Himmel / auf der Weißbirke das Gewicht / der Frühlingsbrise)

Beate Conrad



*(Erstveröffentlichung: ASAHI HAIKUIST NETWORK, 29.05.2015)
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Ein Frühlingswind

Mit diesem Wind kommt Schicksal; laß, o laß
es kommen, all das Drängende und Blinde,
vor dem wir glühen werden -: alles das.
(Sei still und rühr dich nicht, daß es uns finde.)
O unser Schicksal kommt mit diesem Winde.

Von irgendwo bringt dieser neue Wind,
schwankend vom Tragen namenloser Dinge,
über das Meer her was wir sind.

.... Wären wirs doch. So wären wir zuhaus.
(Die Himmel stiegen in uns auf und nieder.)
Aber mit diesem Wind geht immer wieder
das Schicksal riesig über uns hinaus

Rainer Maria Rilke (1875-1926)

Freitag, 15. April 2016

kamelienrot





kamelienrot
aus dem Winterschlaf
der alte Garten




(camellia red / out of hibernation / the old garden)

Christof Blumentrath



(Übersetzung: Silvia Kempen)
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Foto: © bbroianigo / pixelio.de



Donnerstag, 14. April 2016

flying sparks





flying sparks -
the moments
as we know





(fliegende Funken - / die Momente / in denen wir wissen)

Eva Limbach



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Der Moment

Versprühn in Freudefunken muß
Ein langes Gramgeschick,
Zu Grunde gehn im Vollgenuß
Von einem Augenblick.

Es prägt kein Leben seine Spur
Der Welt auf ewig ein,
Wir können auf Momente nur
Vollkommen glücklich sein.

Wie leuchtend auch in höchster Pracht
Des Menschen Geist erglüht,
Er zeigt doch nur die tiefe Nacht,
In die er bald versprüht.

Hermann von Lingg (1820-1905)
Aus der Sammlung Natur- und Weltleben





Mittwoch, 13. April 2016

Luftpost





Luftpost
in meinem Briefkasten
ein Kirschblütenblatt





(airmail / in my mailbox / a cherry blossom leaf)
 
Friedrich Kelben



(Übersetzung: Silvia Kempen)
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Foto: © Huskyherz / pixelio.de


 

Dienstag, 12. April 2016

Kranichrufe





Kranichrufe –
mein unruhiges Herz*




(Crane calls - / my restless heart)

Gerda Förster


 
*(Erstveröffentlichung: Haiku-heute, April 2011 und Sommergras Nr. 93)
(Übersetzung: Silvia Kempen)
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Die Kraniche des Ibykus

Zum Kampf der Wagen und Gesänge,
Der auf Korinthus' Landesenge
Der Griechen Stämme froh vereint,
Zog Ibykus, der Götterfreund.
Ihm schenkte des Gesanges Gabe,
Der Lieder süßen Mund Apoll,
So wandert' er, an leichtem Stabe,
Aus Rhegium, des Gottes voll.

Schon winkt auf hohem Bergesrücken
Akrokorinth des Wandrers Blicken,
Und in Poseidons Fichtenhain
Tritt er mit frommem Schauder ein.
Nichts regt sich um ihn her, nur Schwärme
Von Kranichen begleiten ihn,
Die fernhin nach des Südens Wärme
In graulichtem Geschwader ziehn.

»Seid mir gegrüßt, befreundte Scharen!
Die mir zur See Begleiter waren,
Zum guten Zeichen nehm ich euch,
Mein Los, es ist dem euren gleich.
Von fernher kommen wir gezogen
Und flehen um ein wirtlich Dach.
Sei uns der Gastliche gewogen,
Der von dem Fremdling wehrt die Schmach!«

Und munter fördert er die Schritte
Und sieht sich in des Waldes Mitte,
Da sperren, auf gedrangem Steg,
Zwei Mörder plötzlich seinen Weg.
Zum Kampfe muß er sich bereiten,
Doch bald ermattet sinkt die Hand,
Sie hat der Leier zarte Saiten,
Doch nie des Bogens Kraft gespannt.

Er ruft die Menschen an, die Götter,
Sein Flehen dringt zu keinem Retter,
Wie weit er auch die Stimme schickt,
Nichts Lebendes wird hier erblickt.
»So muß ich hier verlassen sterben,
Auf fremdem Boden, unbeweint,
Durch böser Buben Hand verderben,
Wo auch kein Rächer mir erscheint!«

Und schwer getroffen sinkt er nieder,
Da rauscht der Kraniche Gefieder,
Er hört, schon kann er nicht mehr sehn,
Die nahen Stimmen furchtbar krähn.
»Von euch, ihr Kraniche dort oben!
Wenn keine andre Stimme spricht,
Sei meines Mordes Klag erhoben!«
Er ruft es, und sein Auge bricht.

Der nackte Leichnam wird gefunden,
Und bald, obgleich entstellt von Wunden,
Erkennt der Gastfreund in Korinth
Die Züge, die ihm teuer sind.
»Und muß ich so dich wiederfinden,
Und hoffte mit der Fichte Kranz
Des Sängers Schläfe zu umwinden,
Bestrahlt von seines Ruhmes Glanz!«

Und jammernd hörens alle Gäste,
Versammelt bei Poseidons Feste,
Ganz Griechenland ergreift der Schmerz,
Verloren hat ihn jedes Herz.
Und stürmend drängt sich zum Prytanen
Das Volk, es fodert seine Wut,
Zu rächen des Erschlagnen Manen,
Zu sühnen mit des Mörders Blut.

Doch wo die Spur, die aus der Menge,
Der Völker flutendem Gedränge,
Gelocket von der Spiele Pracht,
Den schwarzen Täter kenntlich macht?
Sinds Räuber, die ihn feig erschlagen?
Tats neidisch ein verborgner Feind?
Nur Helios vermags zu sagen,
Der alles Irdische bescheint.

Er geht vielleicht mit frechem Schritte
Jetzt eben durch der Griechen Mitte,
Und während ihn die Rache sucht,
Genießt er seines Frevels Frucht.
Auf ihres eignen Tempels Schwelle
Trotzt er vielleicht den Göttern, mengt
Sich dreist in jene Menschenwelle,
Die dort sich zum Theater drängt.

Denn Bank an Bank gedränget sitzen,
Es brechen fast der Bühne Stützen,
Herbeigeströmt von fern und nah,
Der Griechen Völker wartend da,
Dumpfbrausend wie des Meeres Wogen;
Von Menschen wimmelnd, wächst der Bau
In weiter stets geschweiftem Bogen
Hinauf bis in des Himmels Blau.

Wer zählt die Völker, nennt die Namen,
Die gastlich hier zusammenkamen?
Von Theseus' Stadt, von Aulis Strand,
Von Phokis, vom Spartanerland,
Von Asiens entlegner Küste,
Von allen Inseln kamen sie
Und horchen von dem Schaugerüste
Des Chores grauser Melodie,

Der streng und ernst, nach alter Sitte,
Mit langsam abgemeßnem Schritte,
Hervortritt aus dem Hintergrund,
Umwandelnd des Theaters Rund.
So schreiten keine irdschen Weiber,
Die zeugete kein sterblich Haus!
Es steigt das Riesenmaß der Leiber
Hoch über menschliches hinaus.

Ein schwarzer Mantel schlägt die Lenden,
Sie schwingen in entfleischten Händen
Der Fackel düsterrote Glut,
In ihren Wangen fließt kein Blut.
Und wo die Haare lieblich flattern,
Um Menschenstirnen freundlich wehn,
Da sieht man Schlangen hier und Nattern
Die giftgeschwollnen Bäuche blähn.

Und schauerlich gedreht im Kreise
Beginnen sie des Hymnus Weise,
Der durch das Herz zerreißend dringt,
Die Bande um den Sünder schlingt.
Besinnungraubend, herzbetörend
Schallt der Erinnyen Gesang,
Er schallt, des Hörers Mark verzehrend,
Und duldet nicht der Leier Klang:

»Wohl dem, der frei von Schuld und Fehle
Bewahrt die kindlich reine Seele!
Ihm dürfen wir nicht rächend nahn,
Er wandelt frei des Lebens Bahn.
Doch wehe, wehe, wer verstohlen
Des Mordes schwere Tat vollbracht,
Wir heften uns an seine Sohlen,
Das furchtbare Geschlecht der Nacht!

Und glaubt er fliehend zu entspringen,
Geflügelt sind wir da, die Schlingen
Ihm werfend um den flüchtgen Fuß,
Daß er zu Boden fallen muß.
So jagen wir ihn, ohn Ermatten,
Versöhnen kann uns keine Reu,
Ihn fort und fort bis zu den Schatten,
Und geben ihn auch dort nicht frei.«

So singend, tanzen sie den Reigen,
Und Stille wie des Todes Schweigen
Liegt überm ganzen Hause schwer,
Als ob die Gottheit nahe wär.
Und feierlich, nach alter Sitte
Umwandelnd des Theaters Rund
Mit langsam abgemeßnem Schritte,
Verschwinden sie im Hintergrund.

Und zwischen Trug und Wahrheit schwebet
Noch zweifelnd jede Brust und bebet
Und huldiget der furchtbarn Macht,
Die richtend im Verborgnen wacht,
Die unerforschlich, unergründet
Des Schicksals dunkeln Knäuel flicht,
Dem tiefen Herzen sich verkündet,
Doch fliehet vor dem Sonnenlicht.

Da hört man auf den höchsten Stufen
Auf einmal eine Stimme rufen:
»Sieh da! Sieh da, Timotheus,
Die Kraniche des Ibykus!« –
Und finster plötzlich wird der Himmel,
Und über dem Theater hin
Sieht man in schwärzlichtem Gewimmel
Ein Kranichheer vorüberziehn.

»Des Ibykus!« – Der teure Name
Rührt jede Brust mit neuem Grame,
Und, wie im Meere Well auf Well,
So läufts von Mund zu Munde schnell:
»Des Ibykus, den wir beweinen,
Den eine Mörderhand erschlug!
Was ists mit dem? Was kann er meinen?
Was ists mit diesem Kranichzug?« –

Und lauter immer wird die Frage,
Und ahnend fliegts mit Blitzesschlage
Durch alle Herzen. »Gebet acht!
Das ist der Eumeniden Macht!
Der fromme Dichter wird gerochen,
Der Mörder bietet selbst sich dar!
Ergreift ihn, der das Wort gesprochen,
Und ihn, an dens gerichtet war.«

Doch dem war kaum das Wort entfahren,
Möcht ers im Busen gern bewahren;
Umsonst, der schreckenbleiche Mund
Macht schnell die Schuldbewußten kund.
Man reißt und schleppt sie vor den Richter,
Die Szene wird zum Tribunal,
Und es gestehn die Bösewichter,
Getroffen von der Rache Strahl.

Friedrich Schiller (1759-1805)
Aus der Sammlung Gedichte (1789-1805)




Montag, 11. April 2016

die blüten wirbeln





die blüten wirbeln
unter einem pflaumenbaum
malt jemand zweige




(blooms swirling / under a plum tree / anyone paints branches)

Walter Mathois



(Übersetzung: Silvia Kempen)
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Foto: © Susanne Schmich / pixelio.de




Sonntag, 10. April 2016

mich einstimmen





mich einstimmen
auf deinen Ton ──
Duft des Ahornbaums




(attuning myself / to your tone ── scent of the acer tree)*
 
Helga Stania 
 
 

*(Erstveröffentlichung: AHG Dezember 2013)

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Duft und Dichtung

Wie aus dem zarten Opferkelch der Blüte
In süßem Strom der Duft zum Himmel dringt:
Entsteigt der Dichtung Wohllaut dem Gemüte,
Ein Schwan der zu den Sternen fliegend singt.

Verbunden hat der Schöpfer ihre Lose:
Der Schönheit Glanz, den Quell der Harmonie,
Das Lied der Nachtigall, die Glut der Rose;
Des Frühlings Lust, den Duft der Poesie.

Drum wenn des Balsams Düfte dich erquicken.
Wenn dich umweht des Orients Arom:
Dann möge ahnend auch dein Herz entzücken
Mit ihrem Duft der Dichtung Himmelsstrom.

Guido Moritz Görres (1805-1852)
Aus der Sammlung Frühlingslieder
 
 
 

Samstag, 9. April 2016

Hellere Aussicht





Hellere Aussicht
der verlorengeglaubte
Winter kehrt wieder





(A brighter view / the believed winter-lost / returns once more)

Beate Conrad




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Foto: © Jutta BSS / pixelio.de



 

Freitag, 8. April 2016

Kirschblütenzeit





Kirschblütenzeit
im Taschenkalender

werden die Tage voller




(Cherry blossom time / in the pocket calendar / the days get fuller) 
Elisabeth Kleineheismann
(Übersetzung: Silvia Kempen)
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Kirschblüte bei der Nacht

Ich sahe mit betrachtendem Gemüte
Jüngst einen Kirschbaum, welcher blühte,
In kühler Nacht beim Mondenschein;
Ich glaubt', es könne nichts von größrer Weiße sein.
Es schien, ob wär ein Schnee gefallen.
Ein jeder, auch der kleinste Ast
Trug gleichsam eine rechte Last
Von zierlich-weißen runden Ballen.
Es ist kein Schwan so weiß, da nämlich jedes Blatt,
Indem daselbst des Mondes sanftes Licht
Selbst durch die zarten Blätter bricht,
Sogar den Schatten weiß und sonder Schwärze hat.
Unmöglich, dacht ich, kann auf Erden
Was Weißers aufgefunden werden.

Indem ich nun bald hin, bald her
Im Schatten dieses Baumes gehe,
Sah ich von ungefähr
Durch alle Blumen in die Höhe
Und ward noch einen weißern Schein,
Der tausendmal so weiß, der tausendmal so klar,
Fast halb darob erstaunt, gewahr.

Der Blüte Schnee schien schwarz zu sein
Bei diesem weißen Glanz. Es fiel mir ins Gesicht
Von einem hellen Stern ein weißes Licht,
Das mir recht in die Seele strahlte.

Wie sehr ich mich an Gott im Irdischen ergetze,
Dacht ich, hat Er dennoch weit größre Schätze.
Die größte Schönheit dieser Erden
Kann mit der himmlischen doch nicht verglichen werden.

Donnerstag, 7. April 2016

Polyeder





Polyeder ...
im Netz baumeln
Keplers Orangen




(polyhedra ... / dangling in the net / Kepler's oranges)

Gabriele Hartmann




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Foto: © Thomas Max Müller / pixelio.de




Mittwoch, 6. April 2016

Flohmarkt





Flohmarkt -
ein älteres Paar unter
Pflaumenblüten




(Flea market - / an elderly couple under plum blossoms)

Cezar-Florin Ciobîcă




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Blüte

Diamanten wandern übers Wasser!
Ausgereckte Arme
Spannt der falbe Staub zur Sonne!
Blüten wiegen im Haar!
Geperlt
Verästelt
Spinnen Schleier!
Duften
Weiße matte bleiche
Schleier!
Rosa, scheu gedämpft, verschimmert
Zittern Flecken
Lippen, Lippen
Durstig, krause, heiße Lippen!
Blüten! Blüten!
Küsse! Wein!
Roter
Goldner
Rauscher
Wein!
Du und Ich!
Ich und Du!
Du?!

August Stramm (1874-1915)
 
 




Dienstag, 5. April 2016

Abbrucharbeiten





Abbrucharbeiten
Beim Zersplittern des Schiefers
die Muschel im Stein*




(Demolition work / At cracking the shale / the conch in the stone)

Hans-Jürgen Göhrung



*(Erstveröffentlichung: Haiku heute, Ausgabe Juni 2011)
(Übersetzung: Silvia Kempen)
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Foto: © Rolf Handke / pixelio.de



Montag, 4. April 2016

Auf dem Fußballplatz






Auf dem Fußballplatz
Ein Maulwurf streckt den Kopf
aus der Erde*





(on the football field / a mole sticks his head / out of the green)

Brigitte ten Brink



*(Erstveröffentlichung: Haiku heute, Ausgabe Juli 2012)
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Ein Maulwurf

Die laute Welt und ihr Ergötzen
Als eine störende Erscheinung
Vermag der Weise nicht zu schätzen.
Ein Maulwurf war der gleichen Meinung.
Er fand an Lärm kein Wohlgefallen,
Zog sich zurück in kühle Hallen
Und ging daselbst in seinem Fach
Stillfleißig den Geschäften nach.
Zwar sehen konnt’ er da kein bissel,
Indessen sein getreuer Rüssel,
Ein Nervensitz voll Zartgefühl,
Führt sicher zum erwünschten Ziel.
Als Nahrung hat er sich erlesen
Die Leckerbissen der Chinesen,
Den Regenwurm und Engerling,
Wovon er vielfach fette fing.
Die Folge war, was ja kein Wunder,
Sein Bäuchlein wurde täglich runder,
Und wie das häufig so der Brauch,
Der Stolz wuchs mit dem Bauche auch.
Wohl ist er stattlich von Person
Und kleidet sich wie ein Baron,
Nur schad, ihn und sein Sammetkleid
Sah niemand in der Dunkelheit.
So trieb ihn denn der Höhensinn
Von unten her nach oben hin,
Zehn Zoll hoch oder gar noch mehr,
Zu seines Namens Ruhm und Ehr
Gewölbte Tempel zu entwerfen
Und denen draußen einzuschärfen,
Daß innerhalb noch einer wohne,
Der etwas kann, was nicht so ohne.
Mit Baulichkeiten ist es mißlich.
Ob man sie schätzt, ist ungewißlich.
Ein Mensch von anderm Kunstgeschmacke,
Ein Gärtner, kam mit einer Hacke.
Durch kurzen Hieb nach langer Lauer
Zieht er ans Licht den Tempelbauer
Und haut so derb ihn übers Ohr,
Daß er den Lebensgeist verlor.
Da liegt er nun, der stolze Mann.
Wer tut die letzte Ehr ihm an?
Drei Käfer, schwarz und gelb gefleckt,
Die haben ihn mit Sand bedeckt.
Wilhelm Busch (1832-1908)