Samstag, 5. November 2016

Orion




Orion ...
der alte Jäger streichelt
seine Narben



(Orion ... / the old hunter strokes / its scars)

Cezar-Florin Ciobîcă




(Übersetzung: Silvia Kempen)
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Orion

Wenn winterlich die nächt'gen Schatten dunkeln,
Dann fängt Orions Lichtband an zu funkeln
In märchenhafter Pracht,
Dann blitzen jene klaren Diamanten,
Die frühe schon mein Kindesauge bannten,
Mit alten Zaubers Macht.

Dann strahlt aus all' der Höhen leisem Flimmern
Und aus dem tausendfält'gen Demantschimmern
Sein Diadem erregt:
Vom Weltenozean drei lichte Tropfen,
Darin des All's erhab'ne Pulse klopfen,
Das Weltenherz noch schlägt.

Die Sternenaugen hell, voll Glanz und Schöne,
Sie wechseln ihres Lichtes Farbentöne
Und winken sich vertraut,
Als wüßten Antwort sie auf höchste Fragen,
Und möchten sie dem Erdenkinde sagen
In Liedern ohne Laut.

Denn stumm ergeht das Wort im Sternenreigen,
Doch klingt noch heute das beredte Schweigen
Zum Herzen frommbeseelt,
Wie damals, als der Psalmensänger lauschte,
Und Gottes Lob durch seine Harfe rauschte,
Das ihm die Nacht erzählt.

Der Weltenpsalm klingt siegesfreudig weiter,
Auf hoher Bahn zieh'n die Gestirne heiter
Dem fernen Morgen zu —
Zu mir auch weh'n die großen Friedensklänge,
Und der Gedanken unruhvoll Gedränge
Stimmt sich zur Gottesruh'.

Auch mir ist ja ein Sternbild noch geblieben,
Es sind drei Sterne: Glauben, Hoffen, Lieben,
Die führen, Gott, zu Dir —
Der ew'gen Liebe sind's drei lichte Tropfen,
Darin des Menschenherzens Pulse klopfen —
Orion leuchte mir!

Marie Hunziker-Thommen (1839-1907)
Aus der Sammlung Unter den Sternen





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